Shit Happens

copyright © 1996 by Malte Kollakowski
Das hier ist eine kleine Action-Sequenz, die ich in den Semesterferien im Sommer 1996 geschrieben habe. So richtig altmodisch auf Papier; und es hat mich einiges an Überwindung gekostet, den Text in den Computer zu tippen. Aber immerhin kann ich ihn jetzt auch wiederverwenden.

Südfrankreich, irgendwo zwischen Marseilles und Nizza. Juli 2059.

"Verdammte Scheiße!" Fitch wischte sich mit dem Rest seines rechten Ärmels den Schweiß von der Stirn.

Dort, wo die Explosion den Stoff aufgerissen hatte, schimmerte Blut auf seiner tiefbraunen Haut. Leise fluchend betastete er den Arm, konnte aber in der zunehmenden Dunkelheit keine schwere Verletzung feststellen. Abgesehen von seinem noch immer tauben Arm schmerzte seine ganze rechte Körperhälfte.

"Alles klar, Chummer?" erkundigte sich Snoop flüsternd, als er neben dem Elf landete und völlig außer Atem auf die Knie sank, wo er sich schnell aus seiner Bergausrüstung befreite.

Mehr als ein Nicken gab ihm der Samurai nicht und mit einem geübten Ruck löste er das Seil aus der Verankerung am Rand der Felswand, die fast senkrecht über ihnen aufragte. Einige Steinchen prasselten auf die beiden Shadowrunner herab.

"Verdammt. Willst du uns umbringen? Erst dieser scheiß Magier mit seinen überdimensionierten Feuerbällen und jetzt das." Wutschnaubend verstaute er das Seil in seinem Rucksack.

Snoop mußte grinsen. "Sei doch froh, daß wir endlich einen richtigen Magier haben." Er schnallte sich stöhnend seinen Rucksack auf. "Außerdem hättest Du ja in Deckung gehen können."

"Deckung? Ich war in Deckung!" Er hielt beide Hände gut dreißig Zentimeter auseinander. "Er hat die Mauer einfach weggeblasen. Frag! Und mich gleich dazu."

Ansatzlos sprang Fitch die vier Meter tief in den feuchten Sand und ging im Schatten eines Flesens in Deckung. "Ich hasse Magie."

Nur wenige Sekunden später sprang auch Snoop und tauchte wieder neben dem stämmigen Samurai auf.

"Wir leben noch. Das reicht vollkommen." Vorsichtig blickte er auf das silbrig glänzende Wasser im Licht des Mondes hinaus. "Wo bleibt denn dieser verdammte Hubschrauber?"

"Im Gesicht - der Pilot ist wirklich gut." Das rötliche Licht im Inneren des SK-Ghost Kampfhubschraubers hob sich gegen die bläuliche Dunkelheit der Nacht ab. Die grünen Lichter der Schalter und Knöpfe leuchteten wie die Lichter einer Großstadt in der Dämmerung und auf dem HUD flimmerten Zahlen und Graphiken in so schneller Folge, daß Silver nur die grundlegendsten Daten ablesen konnte.

"Ja Baby, komm näher ... noch ein Stück ..." Phantom, der die Maschine über seine Riggerkontrollen steuerte, lag völlig entspannt in seiner Pilotenliege, während sich die anderen drei Runner verkrampft in ihren Sitzen saßen.

Vor allem David, der das Fliegen bisher eher in Privatjets als in Militärmaschinen gewöhnt war, stöhnte vor Anstrengung, wenn Phantom immer wieder wilde Ausweichmanöver einleitete.

Jannah - die eigentlich auf Decking in der Matrix spezialisiert war, saß neben dem Rigger und bediente über ihr Interface die Waffensysteme des Ghost. Da der Ghost jedoch auf offensive Kampftechnik eingestellt war, beschränkten sich die rückwärtigen Waffen lediglich auf Rauchgranatenwerfer - im Dunkel der gerade hereingebrochenen Nacht keine große Hilfe.

Wenigstens war die von Saeder-Krupp erst seit wenigen Monaten in Serienproduktion hergestellte Maschine schneller als ihr Verfolger - ein Whitfield G5 Kampfhubschrauber, der speziell für den Luftkampf ausgerüstet war.

"Wir sollten uns wirklich beeilen. Jede Minute, die Snoop und Fitch dort unten am Strand hocken, ist zu viel."

"Scheiße!" Snoop legte sein Ultrasound-Sichtgerät vor sich auf den Felsen und überprüfte seine Waffe.

"Richtung Osten hat ein Transporter gehalten. Vier oder fünf Mann sind ausgestiegen und laufen die Treppe zum Strand �runter." Er nahm sein Scharfschützengewehr in Anschlag, zielte kurz und drückte zweimal ab. "Definitiv keine Urlauber."

"Niemand macht in Frankreich Urlaub." Fitch rückte weiter nach links, um auf der anderen Seite des Felsens in Position zu gehen. "Getroffen?"

"Klar."

"Einen oder zwei?"

"Einen."

"Gut, Chummer."

Snoop schoß wieder zweimal und fluchte leise vor sich hin. "Frag! Hier wird�s gleich heiß. Noch etwas weiter östlich sind noch zwei Transporter."

"Und das an meinem Geburtstag."

Die Turbinen des Ghost heulten auf, als Phantom die Maschine fast senkrecht in den Himmel steigen ließ. Nach einigen Metern kippte sie zwar wieder nach vorne, aber das Manöver bewirkte genau das, was er erwartet hatte: Durch die ständigen Ausweichmanöver war der Pilot der Whitfield unkonzentriert geworden und hatte nicht damit gerechnet, daß Phantom seine Maschine in einer Kurve nach oben ziehen würde.

"Ziel erfaßt." Eine Rakete löste sich kreischend aus dem unter den Stummelflügeln des Ghost angebrachten Werfer. "Ziel zerstört."

Kurz darauf ging der Whitfield in Flammen auf und krachte mit einer gewaltigen Explosion auf das ferne Ende des schmalen Sandstrandes vor den Steilklippen.

"Hast Du unsere beiden Sandhüpfer geortet?" erkundigte sich Phantom.

"Zwo Uhr, dreihundertsiebzig Meter entfernt. Sind in Deckung." Jannah tippte einige kurze Kommandos auf ihrer Tastatur.

"Hoops!" Snoop blickte gebannt auf das brennende Wrack, das nur hundert Meter von ihrer Position entfernt auf dem Strand aufgeschlagen war. Durch das Feuer waren die über den Strand laufenden Gestalten nicht mehr zu sehen, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.

"Willst du hier Wurzeln schlagen?" Fitch packte ihn am Arm und zog ihn mit sich ans Wasser, wo sie wieder hinter einem Felsen in Deckung gingen.

Die gedrungene Silhouette des SK-Hubschraubers schwebte jetzt nur noch ein oder zwei Meter über dem Wasser und glitt langsam in ihre Richtung. Als er dann mit jaulenden Rotorblättern nur wenige Meter neben ihnen schwebte, wirbelte das Wasser zusammen mit dem Sand des Strandes zu einer weiß brodelnden Wand um sie herum auf. Innerhalb weniger Sekunden waren Snoop und Fitch klitschnaß und warteten in gebückter Haltung auf die öffnung der Luke. Zunächst meldeten sich aber noch einmal die Maschinengewehre des Ghost zu Wort und fast zeitgleich wurden sie im roten Licht aus dem Inneren des Hubschraubers gebadet.

Ohne zu zögern sprang zunächst Snoop und dann Fitch auf die Kufe des Hubschraubers und kletterte in das Innere. Die Tür schwang zu und sofort beschleunigten sie.

"Mensch, Chummers! Ich dachte schon, ihr würdet uns erst nach zwei Wochen Urlaub hier abholen." Mühsam setzte sich Snoop in seinen Sitz.

�Hey, wir können euch auch wieder absetzen." Rief Phantom von seinem Sitz zurück.

"Keine Chance, Mann. Niemand macht Urlaub in Frankreich!"